Wird es Herbst in Pharma?

Schön, dass wir es uns auch heute wieder gemeinsam – wie man bei uns sagt – muckelig machen können und in aller Ruhe in meinen Digital Health Notizen schmökern können. Ein Notizbuch, ein heißer Tee, ein Ohrensessel, eine warme Decke, für die ganz Wilden mitunter auch schon der erste Spekulatius: Ja, es ist Herbst geworden. Und dieses Jahr irgendwie ganz plötzlich und ganz überraschend.

Vom einen auf den anderen Tag werden gerade noch saftig grüne Bäume zu braunen, blattlosen Gerippen, die Tage werden kürzer, der Wind wird rauer und kälter, der Regen mehr und sogar die Natur ganzer Konferenzen wandelt sich von jetzt auf gleich. Pardon, das war vielleicht etwas abrupt. Lassen Sie mich etwas ausholen. Zunächst: Ich bin leidenschaftlicher Konferenzbesucher – das mag ein Denken alter Schule sein, aber die unkomplizierte Gelegenheit, neue und alte Kontakte an ein und demselben Ort anzutreffen, den fachlichen wie den persönlichen Austausch kombinieren zu können, sich in einer neuen Umgebung mit Neuem zu befassen – all das sind für mich nach wie vor gute Gründe, die großen Pharma- und MedTech-Konferenzen zu besuchen. Bei aller Neugier bin ich aber eben auch ein Stück weit „Gewohnheitstier“ – und so empfand ich dieses Jahr nicht nur den plötzlichen Herbsteinbruch ein klein wenig irritierend, sondern auch meinen Besuch auf dem EASD 2023 – dem Kongress der „European Association for the Study of Diabetes“ – traditionell ein Pharmakongress, auf dem sich die Diabetes-Schwergewichte der Branche die Klinke in die Hand geben. Was mich nun irritiert hat, war nicht etwa unerwartete Vorträge oder ein gänzlich anderes Publikum. Auch nicht die in jeder Hinsicht interessanten Gespräche und erfreulichen Begegnungen. Viel mehr überraschte mich in diesem Jahr: Die Zusammensetzung der Aussteller. Mehr als 60% der Aussteller waren in diesem Jahr: MedTechs – etwa Abbott mit der mit Abstand größten Ausstellungsfläche, direkt gefolgt von Dexcom. Fachlich natürlich absolut passend, aber dennoch verwunderlich für eine bisher so eindeutig Pharma-dominierte Messe. Jetzt ist mein Punkt natürlich nicht, dass die führenden Diabetes-MedTechs nichts auf einer Messe wie der EASD zu suchen oder beizutragen hätten. Mich interessiert: Woher diese „Verdrängung“? Wie kommt es, dass sich auf ureigenem Pharmaboden auf einmal Diagnostica-Hersteller und MedTechs mit einem Fokus auf Sensorik und Datenanalyse breitmachen – etablierte wie junge Unternehmen gleichermaßen?

Mein erster Gedanke: Es scheint Herbst zu werden in Diabetes-Pharma. Zumindest auf der EASD hatte man es sich schon eher „gemütlich“ gemacht – promoted wurden vor allem die neuesten OADs, Orale Antidiabetika – zweifelsohne wahre Wunderwerke der jeweiligen Molekül-Manufakturen, aber irgendwie eben auch „gewohnt“. Teils verzückte Aha-Momente hatte ich dagegen ehrlicherweise nur an den Ständen der MedTechs: Immer kompaktere CGMs, echte News im Streben Richtung einer Artificial Pancreas, eine Fülle neuer (auch digitaler) Begleiter für das Leben mit Diabetes und fühlbarer Mehrwert für die Diabetes-Therapie.– da war Lust auf Innovation zu spüren. Innovationen, die nebenbei offenbar auch genug abwerfen, um sich diese beeindruckenden Stände hier auf der EASD leisten zu können. Und eher still daneben eben: Die Pharma-Platzhirsche, deren ehrlichen Vorsatz, mit Geräten, Diagnostika und vor allem Daten endlich und bald „Beyond the Pill“ vorzudringen, ich so gerne glauben, aber noch viel lieber sehen möchte.

Bin ich hier zu kritisch? Ich meine: Wenn es den führenden Pharmaunternehmen tatsächlich ernst damit ist, ihre Rolle in der Diabetes-Versorgung neu zu erfinden und eben „über Pillen hinaus“ zu wachsen: Warum verliere ich mich dann nicht in den Unweiten ausufernd großer Novo Nordisk- oder Sanofi-Stände, auf denen ein 360°-Potpourri an Diabetes-Innovationen über mich hineinbricht – über OADs hinaus? Warum sehen wir – bis auf Ausreißer wie Novo Nordisks Übernahme von Biocorp – nicht viel mehr Pharma-Investments in MedTech, oder gar viel mehr Experimente, etwa mit datengetriebenen Geschäftsmodellen? Nun – ohne es mir zu einfach machen zu wollen: Wohl primär, weil das auf mittlere Sicht nur geringere Umsätze und Margen als Arzneimittel bringt. OADs etwa dürften margenträchtig genug sein, um sich noch über sehr lange Zeit nicht wirklich mit neuen Geschäftsmodellen, Diabetes-Portfolios, MedTechs, oder Daten beschäftigen zu müssen. Vielleicht hat ganz einfach manch eine:r auch noch in Erinnerung, dass Sanofi genau das bereits einmal mit einer eigenen, großen Diabetessparte ausprobiert hatte – so richtig, inklusive eigenen Diagnostika und Smart-Pens im Köcher – und der Unternehmung später wieder den Stecker ziehen musste.

Jetzt könnte man es sich natürlich einfach machen und sagen: „Wer nicht will, der hat schon.“, nicht wahr? „Wenn Pharmaunternehmen ihre langfristige Marginalisierung in der Diabetes-Therapie riskieren und sowohl Therapie- als auch Geschäftsmodell-Innovationen quasi gänzlich den MedTechs überlassen wollen, dann ist das eben so.“, oder? Aber mal ehrlich: Was wäre das für eine verschwendete Gelegenheit.

Ich gehe jetzt meine Wärmflasche nachfüllen und schaue den Blättern beim Fallen zu – und wir sehen uns an dieser Stelle in zwei Wochen wieder, wenn Sie mögen.

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