Die Zukunft von One Digital Health

Schön, dass wir uns auch heute wieder gemeinsam zurücklehnen und in aller Ruhe durch meine Digital Health Notizen blättern – ich hoffe Sie haben es bequem.

Ich für meinen Teil habe es mir inzwischen tatsächlich überaus bequem gemacht. Also nicht speziell jetzt im Moment, eher ganz allgemein, hier zu Hause und über die letzten Jahre. Vielen von Ihnen wird es da nicht anders ergangen sein, haben uns doch insbesondere Corona, Lockdowns, Quarantäne, Home Schooling und Home Office geradezu gezwungen, das Beste und Meiste aus unseren vier Wänden zu machen. Das Wohnzimmer übersieht seither ein neuer, viel zu großer Fernseher, die Snack-Schublade ist auch heute noch in bester Tetris-Manier prall gefüllt, wir beschäftigen in Vollzeit eine autonom wischende Reinigungskraft und eine Vielzahl von Streaming-Diensten sorgt bei Bedarf für wohlig warme Berieselung. Kurzum: Eigentlich müssten wir das Haus gar nicht mehr verlassen. „Cocooning“ nennt man das – ein Begriff, der schon in den 1980ern aufkam und letztlich das Phänomen beschreibt, sich zunehmend in den privaten Wohnraum zurückzuziehen und dort die Freizeit zu verbringen.

Eigentlich ja auch nachvollziehbar, wenn man sich alles so eingerichtet hat, dass es für einen selbst und die Lieben funktioniert, oder? Problematisch wird es zumindest bei mir dann, wenn Besuch kommt. Denn dann funktioniert das alles irgendwie nicht mehr. Nicht wie bei einem See, der langsam ins algig-grüne kippt, eher: digital, von 0 auf 1, unmittelbar. Es ist die Fülle banalster Mikro-Veränderungen, die mein eigenes kleines Ökosystem dann kollabieren lassen: Der Vier-Sitzer wird zum Sechs-Sitzer und vom bequemen Sitzmöbel zum orthopädischen Folterwerkzeug. Die für abends geplante Ente à l’Orange wird erstmal eingefroren, weil alles an „l‘Orange“ nachmittäglichen Smoothie-Gelüsten zum Opfer gefallen ist. Eine nächtliche Toilettenspülung beendet gegen vier Uhr jäh und endgültig den Tiefschlag und ein einfaches Niesen am geselligen Abendbrot-Tisch rafft in der Folgewoche die ganze Familie erkältungsbedingt dahin. So oder vielleicht auch etwas weniger dramatisch – Sie alle wissen, wovon ich spreche: Ökosysteme sind empfindlich.

Das bringt mich dann auch schon zu meinem eigentlichen Thema. Sprechen wir über das Nipah-Virus. Hier muss jede Leichtigkeit dann leider auch kurz pausieren: Im indischen Bundesstaat Kerala werden zum Zeitpunkt dieser Kolumne umfassende Test- und Quarantäne-Maßnahmen ergriffen, um die Verbreitung eines seltenen, aber eben hochansteckenden Virus einzudämmen. Mit einer Sterblichkeit von 40 bis 75 Prozent, ersten Toten, nur begrenzt wirksamen Arzneimitteln und ohne einen Impfstoff gibt es auch echten Grund zur Besorgnis. Falls Sie sich nun fragen, warum ich Ihnen das an dieser Stelle erzähle – Nipah ist nicht irgendein Virus, Nipah ist ein zoonotisches Virus. Also ein Virus, das von Tieren auf Menschen und dann auch von Mensch zu Mensch übertragen werden kann. Nun sind Zoonosen weder per se noch für Sie, liebe Leserinnen und Leser, wohl etwas Neues – so gelten Zoonosen etwa als wahrscheinlichster Ursprung für SARS-CoV-2 und das HI-Virus. Im Idealfall gibt es eine ganze Reihe von Faktoren, die der Entstehung von Zoonosen entgegenstehen: Zum einen sind einfach nicht alle tierischen Viren auch auf Menschen übertragbar. Dann ist da z. B. auch „Hygiene“, also etwa Lebensmittel vor dem Verzehr zu waschen oder zu kochen. Und natürlich: Die Trennung von Lebensräumen – wenn Sie einem Wildtier nicht begegnen, weil sich seine und Ihre Lebensräume nicht überschneiden, sind auch Zoonosen unwahrscheinlicher. Teil des Problems ist eben auch hier: Besuch von außen, nur in diesem Fall sind eben wir die Besucher.

Erschwerend kommt hinzu, dass (bis auf Ausnahmen wie Schmetterlinge) die meisten Tiere auch nicht wirklich die Möglichkeit zum „Cocooning“ haben dürften. Während ich unserem Besuch zu Regenerationszwecken auch mal absagen könnte, hat die Tierwelt wenig echte Möglichkeiten, uns vor verschlossener Tür stehen zu lassen, wenn wir uns spontan zu einer Brandrodung eingeladen haben. Und so wird ihr Lebensraum zu unserem, ihre Nahrung zu unserer und eben auch: ihre Krankheiten zu unseren.

Dass und wie die menschliche Gesundheit, der Zustand unserer Umwelt und unser Umgang mit der Tierwelt zusammenhängen und wie wir alles das zu unserer eigenen Sicherheit in Einklang bringen können, damit beschäftigt sich schon seit den frühen 2000ern „One Health“ – ein umfassender und weitreichender Ansatz, um die Risiken von Infektionskrankheiten an den Schnittstellen zwischen Tier, Mensch und Ökosystem zu reduzieren – und der inzwischen unter anderem der WHO, der Weltorganisation für Tiergesundheit, dem Umweltprogramm der UN und der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UN als zentrales Prinzip gilt: Wie bemerken wir Krankheitsausbrüche bei Menschen und Tieren rechtzeitig? Wie schützen und erhalten wir natürliche Lebensräume? Und wie machen wir die Öffentlichkeit auf die Infektions-Gefahren an den besagten Schnittstellen aufmerksam? Das Framework erlaubt es z. B., die Effekte eines Antibiotika-Einsatzes in der Tierhaltung zu bewerten, den Zusammenhang zu resistenten Bakterien zu verstehen, und deren Weg über die Nahrungskette in Boden und Grundwasser und in weitere Teile unserer Nahrungskette einzuschätzen. Seit 2021 – und so findet sich das Thema letztlich auch hier in meinen Digital Health Notizen wieder – wird mit „One Digital Health“ nun auch ein erweitertes Framework ausgerollt, das One Health und Digital Health vereinen soll: Wie kann uns z. B. künstliche Intelligenz bei der Erkennung und Eingrenzung von Infektionskrankheiten helfen und woher sollen und können die notwendigen „Big Data“ dafür kommen?

Corona und Nipah sind nur zwei – eben ganz aktuelle – Beispiele für die verheerenden Konsequenzen, die uns erwarten, wenn wir Mensch, Tier und Umwelt in reiner Isolation betrachten. Ich für meinen Teil hatte von „One Health“ bzw. „One Digital Health“ noch nie gehört – und ich könnte mir vorstellen, dass das vielen so gehen dürfte. Dabei ist der Ansatz, so einfach er auch anmuten mag, nicht nur wichtig – sondern stimmt mich durchaus positiv: Wir haben die Mittel, die Zusammenhänge zwischen menschlicher Gesundheit, tierischer Gesundheit und Umwelt zu verstehen. Und neue digitale Hilfsmittel machen uns das einfacher und schneller möglich. Wenn Sie sich mit One (Digital) Health noch nicht beschäftigt haben: Der Ansatz ist einen intensiven Blick wert – insbesondere, wenn das Thema für Sie (wie für mich) neu ist. An einem Gedanken bleibe ich allerdings auch am Ende dieses Textes nach wie vor hängen: All diese vielen Worte, um zu beschreiben, dass Menschen, Tiere und Umwelt nicht unabhängig voneinander existieren – eigentlich doch ein Paradebeispiel für einen klassischen, neudeutschen „No-Brainer“. Und umso entblößender daher auch, wenn wir uns unseren aktuellen Umgang mit Umwelt, Tieren und ihrem Lebensraum einmal ehrlich ansehen.
Ich gehe jetzt einkaufen – die Snack-Schublade muss aufgefüllt werden: Besuch aus München steht an – und wir sehen uns an dieser Stelle in zwei Wochen wieder, wenn Sie mögen.

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