Obsoleszenz in der Medizintechnik
Heute treibt mich ein Thema um, dass sowohl digitale als auch nicht-digitale Produkte betrifft – es geht um Obsoleszenz, also das Veralten oder unbrauchbar werden von Produkten.
Ein Beispiel dafür widerfuhr mir diesen Sommer, als ich ein älteres iPhone von mir wieder reaktivierte. Unsere Zwillinge wollten mit der Bahn alleine zur Oma in die Sommerferien verreisen. Zwar traue ich den beiden schon eine Menge zu, aber bei der momentan gegebenen Unzuverlässigkeit der Bahn wollte ich sicherstellen, dass sie sich mit Ihrer Oma bei Verspätung, Umleitung, Ausfall oder Verfahren des Zuges in Verbindung setzen können. Das iPhone samt Akku war immer noch in einem super Zustand, aber beim Installieren der Software musste ich feststellen, dass die Hardware nur noch mit IOS 10 kompatibel war – eine modernere Version ließ sich nicht installieren. Das wiederum hatte zur Folge, dass viele Apps zum Zeitvertreib der Zwillinge auf der Fahrt sich nicht installieren ließen, da sie iOS 11 oder eine höhere Version benötigten. Somit konnte man zwar telefonieren, aber weder im Internet surfen noch irgendein Spiel spielen. Das war zwar für mich und Oma OK, aus Sicht der Zwillinge aber völlig unzumutbar – ein Handy nur zum Telefonieren, absolut nutzlos!
In diesem Fall könnte ich natürlich einfach ein neueres und aktuelleres iPhone besorgen, Aber wie sieht es aus, wenn es nicht um Lifestyle-Geräte geht, die kontinuierlich weiterentwickelt werden? Wenn es nicht um Geräte geht, für die es viele Alternativen gibt? Sondern um sehr spezifische medizinische Geräte?
Darüber berichtet aktuell online Michael Straight, ein ehemaliger Jockey und seit 10 Jahren Nutzer eines ReWalk-Exoskeletts. Ihm wurde das Problem der Obsoleszenz sehr bewusst vor Augen geführt, als ihn ein defekter Akku daran hinderte, mit Hilfe seines Gerätes weiter laufen zu können. Der Entwickler, so sagt Straight, behauptete, sie würden keine Geräte reparieren, die älter als 5 Jahre seien. Nach einigem Hin und Her behebt der Entwickler Straights Problem, ermutigt ihn jedoch, das 100.000-Dollar-Exoskelett zu ersetzen, und betont, dass mittlerweile auch bessere Erstattungsmöglichkeiten für Patienten wie ihn verfügbar seien.
Ähnliche Beispiele, in denen Medizintechnik in den letzten Jahren obsolet wurde, lassen sich nach kurzer Recherche schnell finden:
• Das bionische Auge von Second Sight, das 2020 fast insolvent ging und das Produkt seither eingestellt hat.
• Das Clusterkopfschmerz-Stimulationsimplantat von ATI, das 2019 vom Markt ging.
• Der Rückenmarksstimulator von Nuvectra, das 2019 Insolvenz anmeldete.
Ob aus Profitgründen, wegen des Risikomanagements oder dem Ende des Lebenszyklus eines Unternehmens – was tun wir, wenn Medtech-Unternehmen aufhören zu existieren oder sich weigern, mit ihren ursprünglichen Kreationen weiterzuarbeiten? Es ist für die betroffenen Patient:innen nicht immer leicht, ein alternatives Produkt zu finden. Sei es die langwierige Umstellung und Umgewöhnung oder die Tatsache, dass bestimmte Eigenschaften oder Fähigkeiten beim alternativen Produkt nicht verfügbar sind. Und was, wenn es tatsächlich keine Alternative gibt?
Die Antwort könnte darin liegen, wie wir medizintechnische Innovationen für die Öffentlichkeit zugänglich machen und dabei eine „Verpflichtung zur Fürsorge“ in den Vordergrund stellen.
Ein solcher Ansatz besteht darin, grundlegende Komponenten von Medizintechnikgeräten zu standardisieren. Solche Standards helfen der Industrie, Monopole zu vermeiden und die Kontinuität der Versorgung zu gewährleisten, falls eine einzelne Marke oder ein Unternehmen scheitert. Es gibt bereits viele Standards und Normen und es gilt zu vermeiden, dass dadurch noch mehr Bürokratie entsteht, die Innovationen schon im Keim erstickt. Aber die einzelnen Beispiele zeigen, dass Obsoleszenz bei Gesundheitsprodukten ein anderes Augenmerk und eine andere Herangehensweise benötigt als bei den meisten anderen Produktkategorien.
Ich werde mich nun im einschlägigen Fachhandel erkundigen, welche iPhone-Versionen noch als „zukunftssicher“ gelten – was will man denn mit einem Handy, das nur telefoniert? Und wir lesen uns an dieser Stelle in vier Wochen wieder, wenn Sie mögen und meine Kolumne nicht obsolet geworden ist.
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Torsten Christann
Managing Partner