Von Crosstrainern, Apfelschneidern und Gesundheitsdaten

Schön, dass Sie mich auch heute wieder in Ihre Arbeits- und Wohnzimmer lassen, um gemeinsam durch meine Digital Health Notizen der letzten Wochen zu blät… – ist das da hinten bei Ihnen im Eck ein Crosstrainer?

Ich habe mir zu Pandemie-Zeiten auch ein solches Goldstück zugelegt. Wer konnte damals schon sagen, wie lange uns Corona beschäftigen und zu großen Teilen auf die eigenen vier Wände beschränken würde. Also: „Machen wir aus der Not eine Tugend und verlieren im Lockdown ein paar Pfunde.“ So der Plan. Dass Fitnessgeräte eine Tendenz haben, sich „Transformer“-gleich über die Zeit in Kleiderständer und Buchablagen zu verwandeln, ist nun kein Geheimnis. Als ich beim Schreiben dieser Kolumne dann aber mit meiner Frau über das Thema sprach, wurde uns bewusst: Wir haben wirklich viele, wirklich nützliche Dinge, die wir kaum benutzten. Wir haben zum Beispiel laut meiner Frau „schon immer“ einen dedizierten „Apfelschneider“, ein Küchenutensil, mit dem ich den Kindern ohne großes Messerschwingen mundgerechte Apfelschnitze zaubern könnte – gleich mit Entkernen und so – eigentlich sehr praktisch. Der Stundenplan selbiger Kinder war und ist offenbar – und ebenfalls „schon immer“ – tagesaktuell online verfügbar, was mir bis dato so einige Fragen und Leerfahrten erspart hätte – auch sehr praktisch und sogar zeitsparend. Und meine Frau war wiederum positiv überrascht, dass ich alle Passwörter unserer Familien-Accounts – von Amazon über Netflix bis zum WLAN – fein-säuberlich in einer Passwort-Liste im Sideboard dokumentiere – ebenfalls praktisch. Ach ja, wenn wir zu Hause wüssten, was wir zu Hause alles wissen.

Sie werden ahnen, worauf ich hinaus möchte: Informationen, die zugrundeliegenden Daten, Tools – dass es sie gibt, hilft wenig, wenn man nicht weiß, dass es sie gibt. Womit wir beim Thema wären: Bei Gesundheitsdaten. Dabei, wie wir sie aktuell nutzen können und vor allem: Wie wir sie hoffentlich zukünftig besser nutzen können. Zu ersterem stellt eine aktuelle OECD Studie „Health at a Glance 2023“ Deutschland ein klares Zeugnis aus. Stark verkürzt und vereinfacht würde ich es zusammenfassen als: In Deutschland können Patient:innen wenn überhaupt gerade einmal auf ihre eigenen Gesundheitsdaten zugreifen. Wenn es dann darum geht, wie „ready“ OECD-Länder für die Verknüpfung und Auswertung, das kontrollierte Handling (Governance) oder die Interoperabilität von Gesundheitsdaten sind, belegen wir – leider zuverlässig – Plätze weit hinten in den Statistiken – und das ist von mir noch eine recht wohlwollende Zusammenfassung der Studie.

Ein Lichtblick, schon ganz am Anfang des Digital Health Tunnels, ist daher für mich der Europäische Datenraum für Gesundheitsdaten, der „European Health Data Space“ (EHDS). In aller Kürze: Die Idee hinter dem Europäischen Gesundheitsdatenraum ist es, länderübergreifend größtmöglichen Nutzen für die Gesundheitsversorgung aus den vorhandenen Gesundheitsdaten der EU-Bürger zu ziehen: Pharma-Unternehmen sollen z. B. von mehr verfügbaren Daten für Forschung und Entwicklung profitieren. Patient:innen sollen grenzübergreifend Zugriff auf ihre Gesundheitsdaten, Verschreibungen, Laborergebnisse und die eigene elektronische Patientenakte haben. Und: Patient:innen sollen explizit davon profitieren, dass aus sehr viel mehr Daten eben auch sehr viel mehr Einblicke generiert und Empfehlungen gegeben werden können. All das hochreguliert und extrem sicher, mit Regeln dazu, wie und von wem in welchem Format Daten unter welchen Voraussetzungen geteilt werden können und sogar müssen. So gibt es mit dem „Secondary Use“ etwa die Möglichkeit für forschende Unternehmen oder Institutionen, Zugriff auf (in aller Regel anonymisierte) Daten bei einem entsprechenden „Health Data Access Body“ zu beantragen. Alles das auf der Basis einer gemeinsamen EU-weiten Plattform. Klingt für mich erstmal wirklich gut – und praktisch. Schließlich können wir nur mit Daten arbeiten, die uns auch zur Verfügung stehen und für deren Governance es klare Mechanismen und Regeln für alle Teilnehmer eines solchen Datenraumes gibt.

Seit Ende vergangenen Jahres ist der Weg für die EU-weiten, Länder-individuellen Verhandlungen nun auch frei, auf EU-Ebene ist man sich also einig: Der EHDS soll kommen. Zu Wort gemeldet hat sich zu diesem Entschluss auch die EFPIA, die European Federation of Pharmaceutical Industries and Associations – und sieht das Ganze – überraschend oder nicht – nicht ganz so euphorisch wie ich. Ein Feigenblatt in Richtung „Der EHDS hat sicher enormes Potenzial, aber…“ vorausgeschickt, gibt es vielfältige Bedenken. Am interessantesten für mich:

Problem 1: Der EHDS soll für manche Datenkategorien einen Opt-In/Opt-Out-Mechanismus beinhalten – das könnte die Anzahl der verfügbaren Daten reduzieren, was die EFPIA als sub-optimal ansieht.

Problem 2: Der EHDS braucht unbedingt Regeln für den Schutz geistigen Eigentums im privaten Sektor. Das klingt auf den ersten Blick verständlich (und wird auf EU-Ebene auch bereits berücksichtigt) und auf den zweiten Blick nach „Daten nutzen: Gerne, und zwar so viel und so unkompliziert wie möglich, auch ohne expliziten Consent der Patient:innen. Eigene Daten aus bestimmten Unternehmens-eigenen Quellen: Uh…Ungern.“

Ein Vorschlag zur Güte: Freuen wir uns doch erstmal auf den EHDS, strengen uns mächtig an, gemeinsam bei der Digital Health Readiness besser zu werden und arbeiten wir für den Anfang dann mit den unfassbar vielen neuen, verfügbaren Daten, bevor wir schon vor der Einführung Daten-gierig bzw. -geizig werden.

Ich esse jetzt erstmal ein paar sauber geschnittene Apfelspalten und lese noch ein bisschen, auch wenn es schon spät ist – die Kinder haben morgen erst zur dritten Stunde Schule, wie ich vorhin online gelesen habe. Und wir sehen uns an dieser Stelle in vier Wochen wieder, wenn Sie mögen.

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