Aufatmen und Durchatmen: Das Digitalgesetz kommt.
Schön, dass Sie sich auch heute wieder bereit erklärt haben, den Link zu dieser Kolumne zu öffnen, um sich über aktuelle Entwicklungen im Bereich Digital Health zu informieren. Ob Sie meine Gedanken letztlich auch tatsächlich bis zum Ende lesen, lassen wir erst einmal mal dahingestellt – aber dazu später mehr. Jetzt müssen wir natürlich erst einmal über den Referentenentwurf zum Digitalgesetz (DigiG) und zum Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG) sprechen.
Die Referentenentwürfe für DigiG und GDNG haben es tatsächlich in sich. Wohlwissend, dass wir hier über Entwürfe sprechen, die noch viele Veränderungen erfahren werden, wird hier an vielen Stellen eine – mal mehr mal weniger – positive Marschrichtung klar: Zunächst einmal wäre da das Thema Telemedizin, mit der überaus erfreulichen – und überfälligen – Abschaffung der 30%-Begrenzung für telemedizinische Leistungen (etwa „Videosprechstunden“) bei Ärzt:innen. Schön zu sehen, dass wir diese strukturell notwendige und effiziente Versorgungsmöglichkeit in Zukunft nicht mehr künstlich beschränken werden.
Dann ist bei der ePA wie geplant ein Opt-Out angelegt – jede:r Bürger:in muss also aktiv der Nutzung widersprechen. In meinem Augen war und ist das quasi alternativlos, um endlich bei der Reduktion von Bürokratie und der Verfügbarkeit von Patient:innendaten über Behandler:innen hinweg ab Anfang 2025 einen großen Schritt nach vorn zu machen. Dass die Daten in der ePA pseudonymisiert dann auch automatisch der Forschung zur Verfügung gestellt werden, begrüße ich ganz persönlich. Natürlich verstehe ich Bedenken zu Datenschutz und Datensicherheit dieser hochsensiblen Informationen – aber hier setze ich den Ein- und Ansatz höchster Datenschutz-Standards schlichtweg voraus: Etwa, um Rückschlüsse auf einzelne Personen unbedingt und sicher zu verhindern. Zugleich empfände ich den Gedanken, einen solchen strukturierten Datenschatz von – im absoluten Idealfall – mehr als 80 Millionen Menschen nicht für medizinische Forschungszwecke einzusetzen, einfach eine absurde Verschwendung. Plus: Auch hier gibt es die Option zum Opt-Out und Daten müssen auch erst beim BfArM beantragt werden.
Auch positiv aufatmen lässt mich, dass explizit im DigiG skizzierte eDMP – also ein digitales (oder „elektronisches“) DMP – für Diabetes. Eine gute Wahl in meinen Augen, als ersten Anwendungsfall für die Potenziale digital-gestützter Therapie-Programme eine derart bedeutende Indikationsgruppe zu wählen, das zeigt Commitment.
Es wird Sie nicht verwundern, dass mich nicht alles in diesem Referentenentwurf zufrieden stimmt oder mich gar vor Glück erfreut zucken lässt. Natürlich ist es positiv – aber auch zu erwarten – dass DiGAs eine große Rolle in diesem Gesetz spielen: Die Ausweitung von DiGAs auf die Medizinprodukteklasse IIb eröffnet neue Potenziale (das haben sich wohl auch die Kolleg:innen in Frankreich bei der Konzeption von PECAN schon gedacht). Auch die Ausweitung der Anwendbarkeit bei Schwangerschaft, und eben der mögliche Einsatz von DiGAs in DMPs: Super. Das Recht auf Interoperabilität – also den Hersteller-unabhängigen Zugang zu meinen DiGA-Daten sowie der Zugriff auf DiGA-Verordnungen über die Telematik-Infrastruktur? Wichtig, aber eigentlich selbstverständlich, also eher „Hygienefaktoren“. Interessant wird die Umsetzung der nun „anwendungsbegleitenden Erfolgsmessung“ – die dann erfolgsabhängige Preisbestandteile vorsieht.
Durchatmen musste ich aber auch ein paar Mal, z. B. müssen Hersteller nun nicht mehr nur mit einer 12-monatigen Sperre bis zum nächsten Antrag rechnen, wenn ein Antrag offiziell abgelehnt wird. Jetzt müssen Hersteller auch 12 Monate bis zum nächsten Antrag warten, wenn sie selbst entscheiden, ihren Antrag zurückzuziehen. Man denke an die vielen Gründe für einen Rückzug von Herstellerseite, die bei weitem nicht alle in der Hand des DiGA-Herstellers liegen.
So richtig gezuckt habe ich allerdings bei der Probezeit für DiGAs: Wird eine DiGA verschrieben und der DiGA-Code eingelöst, bedeutet das nicht, dass der DiGA-Hersteller dafür auch Geld erhält. Patient:innen können sich innerhalb von 14 Tagen entscheiden, die DiGA nicht zu nutzen. In diesem Fall erhält der Hersteller kein Geld. Klingt doch sinnvoll, mag der eine oder andere sagen – sollten Kassen nicht nur bezahlen, was auch nützt und genutzt wird? Nunja: Wann hat sie das letzte Mal ihre Kasse um die leeren Blister gebeten, um zu belegen, dass Sie z. B. Ihr Rheuma-Medikament auch wirklich eingenommen haben? Auf eine solche Idee ist man (verständlicherweise) bisher bei Arzneimitteln nicht gekommen. Aber hier – bei digitalen Anwendungen – kann man messen, also muss es ja angebracht sein. Hm: Eine DiGA muss ihren positiven Versorgungseffekt in einer wissenschaftlich fundierten (RCT-)Studie belegen. Dann muss die DiGA angefragt bzw. ärztlich verschrieben werden. Und dann muss die Patient:in den DiGA Code noch einlösen. Alles für eine nachweislich vorliegende Indikation. Seien wir ehrlich: Hier wird gemessen, weil es geht, nicht weil es sinnvoll ist. Und auch, weil DiGAs für die GKV nach wie vor erst einmal eben ein neuer Kostenblock sind. Ob es sinnvoll ist, mit dieser Regulierung der Innovation im DiGA-Bereich einen weiteren Stein in den Weg zu legen (bzw. neue Unsicherheit zu schaffen), das überlasse ich Ihrer Einschätzung. Zur Einordnung der Bedeutung einer solchen Messung: Für Arzneimittel haben die gesetzlichen Krankenversicherungen 2022 47,4 Mrd. € ausgegeben, für DiGAs im zweiten Jahr des Bestehens: 42 Mio €.
Ebenfalls als Innovations-Hemmnis könnte sich die aktuelle Ausgestaltung zum Verhältnis von Pharma-Unternehmen und DiGA-Herstellern entpuppen: DiGA-Hersteller dürfen „mit Herstellern von Arzneimitteln oder Hilfsmitteln keine Rechtsgeschäfte vornehmen oder Absprachen treffen, die geeignet sind, die Wahlfreiheit der Versicherten bei der Auswahl der Arzneimittel oder Hilfsmittel zu beschränken.“ Hier kommt es letztlich auf die detaillierte und endgültige Ausgestaltung an – aber: Einerseits möchte man doch ausdrücklich DiGAs als Ergänzung zu klassischen Therapien – und zu dieser Gleichung gehören nun einmal auch Pharma- und MedTech-Unternehmen. Ganz besonders übrigens auch, um solche Innovationen (z. B. über den Außendienst) zu den Verschreiber:innen zu bringen. Gerade jetzt, wo Pharma- und MedTech-Unternehmen die Relevanz von DiGAs erkennen und mit engen Kooperationen Initiative ergriffen haben, könnten solche Einschränkungen sich negativ auf die Entwicklung und Verbreitung von DiGAs auswirken.
Nach all dem Auf- und Durchatmen versuche ich jetzt irgendwie herausrauszukriegen, ob Sie diese Kolumne auch wirklich zur Gänze gelesen haben, damit ich keinen Ärger mit der Redaktion bekomme. Oder senden Sie mir doch bitte eine Bestätigung zu, dass Sie auch tatsächlich bis zum Ende gelesen haben – damit wir uns an dieser Stelle in zwei Wochen wiedersehen können….
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Torsten Christann
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