An Apple A Day: Apples Rolle im digitalen Gesundheitswesen jenseits von VR

Schön, dass Sie sich wieder die Zeit nehmen, um die aktuellen Entwicklungen im Bereich „Digital Health“ durch meine Brille zu sehen. Oder sollte ich sagen „Willkommen zu einem 360°-Rundblick der wichtigsten Healthcare-Entwicklungen“? Oder „Danke, dass Sie dem Thema Digital Health den nötigen Raum“ geben? Ich höre ja schon auf – ja, es geht heute um Apple und auch um die viel diskutierte „Apple Vision Pro“ – aber eigentlich auch nicht.

Aber alles der Reihe nach: Vergangene Woche hat der US-Technologie-Konzern Apple ein neues Produkt vorgestellt: „Apple Vision Pro“, so der Name von Apples erstem Mixed-Reality (MR) Headset – einer Taucherbrillen-ähnlichen Computer-Brille, mit der die Träger:in – sehr vereinfacht gesagt – entweder vollständig abgeschottet in digitale Welten abtauchen kann (Virtual Reality, VR) oder die echte Welt vor den eigenen Augen mit interaktiven Elementen anreichern kann (Augmented Reality, AR) – oder eben alles dazwischen. Zu einem stolzen Preis „ab 3.500$“ wird das gute Stück ab 2024 zunächst in den USA erhältlich sein. Nun sind solche Brillen wirklich keine Neuheit: Seit langem tummeln sich Microsoft (Hololens), Meta (Quest), Sony (PlayStation VR) und einige Player mehr in diesem Markt – mit jeweils unterschiedlichem Fokus auf B2B oder B2C, Entertainment oder Produktivität. Unvergessen bleiben wohl auch Fehlschläge wie „Google Glass“, Googles AR-Brille: Grandios gescheitert, weil das Produkt der Zeit zu weit voraus und Googles Hoffnung, die Welt werde anstandslos eine Brille mit Kamera akzeptieren, damals wohl schlicht naiv war. Nun: Die Uhren haben sich weitergedreht, wir gehen anders mit Technologie und Daten um, und andere haben die ersten Schritte auf dem VR/AR Markt für Apple gemacht, erste ganz praktische Anwendungsfälle haben sich ergeben und die Kalifornier hatten genug Zeit, um zu beobachten, zu entwickeln und vom Wettbewerb zu lernen.

Was dabei herausgekommen ist? Neben einem (für mich) bemerkenswerten Produkt in erster Linie und wie so oft sehr unterhaltsame Einschätzungen auf den einschlägigen professionellen Netzwerken: Entweder wird Apple damit zu 100% aus den verschiedensten Gründen endgültig scheitern, oder aber – analog zu iPhone und iPad – eine ganze Geräte-Kategorie und unseren Umgang mit Technologie im Allgemeinen revolutionieren. Auch wenn es darum heute gar nicht gehen soll: Wird ein solches 3.500$ High-Tech Produkt ein Verkaufsschlager? Natürlich nicht – und das ist auch vollkommen egal. Was Apple vorgestellt hat, ist eine bis ins Detail auf Hochglanz polierte Technologie-Demo. Ein Gerät, an dem sich Entwickler:innen und Early-Adopter abarbeiten können und wirklich alles ausprobieren können. An dem der Markt schon einmal üben kann, mit einer neuen User Experience – wie sie sich Apple vorstellt – umzugehen. Auf Basis derer sie schon einmal neue Anwendungen für diese neue Form der Interaktion („Spacial Computing“) entwickeln können. Damit, wenn Apple über kurz oder lang dann auch eine einfache, erschwingliche und vollkommen „normal“ aussehende AR-Brille auf den Konsument:innen-Markt bringt, das Ökosystem bereitsteht und der Markt einen dann immer noch happigen, aber niedrigeren Apple-Preis mit offenen Portemonnaies annimmt.

Was das in meinen Digital Health Notizen zu suchen hat? Eine ganze Menge tatsächlich. Da ist zunächst einmal der Umstand, dass – wenn ich die Reaktionen zu Apples Produkt-Launch lese – auch in Healthcare-Kreisen oft höchstens die Ansicht vorherrscht, eine solche Technologie könnte irgendwann einmal im Gesundheitsbereich relevant werden – dass es bis dahin aber noch ein Weilchen dauern werde. Ich möchte daran erinnern: VR/AR-Brillen werden bereits in der Medizin eingesetzt. In der Ausbildung, bei Operationen, in der Therapie einer Vielzahl von Indikationen. Nicht in der Masse, aber heute, nicht irgendwann einmal. Und deshalb ist es auch nicht bald Zeit, sich mit dem Thema zu beschäftigen: VR/AR sollten längst selbstverständliche Dimensionen der Digital-Produkt-Strategien in Pharma und MedTech sein.

Der zweite Grund, warum es Apples Produktankündigung unbedingt in meine Digital Health Notizen schaffen mussten: Es gibt mir Gelegenheit, um über ein viel interessanteres Thema zu sprechen, das in meinen Augen nicht die notwendige Aufmerksamkeit bekommt: Gar nicht still und gar nicht heimlich hat sich Apple nämlich über Jahre ein bemerkenswertes Healthcare Ökosystem aufgebaut.

Nehmen wir Apples eigene Apps: Mit „Medikamente“ können Sie sich an die Einnahme Ihrer Medikamente erinnern lassen und (nicht überall) auch Wechselwirkungen checken lassen. Die „Zyklus-Protokoll“ App gibt Prognosen zur nächsten Periode und fruchtbaren Tagen. Die „Schlaf-App“ analysiert Schlafmuster und soll auf dem Weg zu einem besseren Schlaf helfen. Die App „Achtsamkeit“ lässt die Nutzer:innen zwischendurch durchatmen. Die „Fitness“ App motiviert zu regelmäßigen Trainings und zum Erreichen von Bewegungszielen. Und in Apples „Notfallpass“ können Nutzer:innen alle Informationen zusammentragen, die im Fall der Fälle zugänglich sein sollen: Vom aktuellen Gewicht und eingenommenen Medikamenten bis zur Blutgruppe und den Notfallkontakten. Mit dem nächsten iOS-Update bekommen Nutzer mit „Mood Tracking“ die Möglichkeit, unkompliziert ihre Stimmung zu protokollieren. Mit „Fitness+“ steht ein Workout-Abo zur Verfügung. Hinzu kommen – natürlich – eine unfassbare Menge von Drittanbieter-Healthcare und -Fitness-Apps aus dem Apple App Store.

Dann wären da die Geräte – oder im Healthcare-Kontext vielmehr Sensoren: Das iPhone protokolliert ganz automatisch Bewegungsdaten: Wie viele Schritte haben Sie gemacht? Wie viele Stufen sind Sie gestiegen? Wie lange sind sie gesessen oder gestanden – bald auch: Wie nah sind ihre Augen am Bildschirm? Die Apple Watch kommt mit FDA-zugelassenem EKG, warnt bei hoher oder niedriger Herzfrequenz, erkennt Stürze und misst neben der Herzfrequenz auch die Sauerstoffsättigung – gearbeitet wird außerdem an non-invasiver Blutglukosemessung. Und perspektivisch dann eben auch: Daten von Apples VR- oder AR-Brillen.

Das allein ist schon ein beachtliches Portfolio – doch da ist mehr: Alle diese Daten werden gesammelt und aufbereitet in Apple Health, Apples zentraler Plattform für Gesundheitsdaten – stetig und teils automatisch gefüttert mit Apples eigenen Sensordaten oder Drittanbieter-Hard- und Software (z. B. Bluetooth Wagen oder Blutdruckmessgeräten). Die Integration macht Apple den Entwickler:innen besonders einfach: Mit „HealthKit“ können sich Apps einfach an Apple Health andocken. Und selbst an die Forschung und Produktentwicklung hat Apple gedacht: mit „ResearchKit“ und „CareKit“.

Nun sind das alles Angebote, die in der einen oder anderen Form auch Apples Konkurrent bietet: Auch Google z. B. hat ein umfassendes Healthcare Hardware- und Software-Portfolio und sammelt wie wild Daten. Daher vielleicht noch ein letzter Punkt, der Apples Ansatz für mich besonders macht: Vertrauen. Apple legt in seiner Kommunikation enormen Wert auf Datenschutz: „Deine Daten gehören Dir.“, „Dein Fingerabdruck verlässt nie Dein Gerät.“, „Deine Gesundheitsdaten sind so verschlüsselt, dass nicht einmal Apple selbst sie entschlüsseln kann.“ Und selbstverständlich können Drittanbieter-Apps nur mit ausdrücklicher Zustimmung der Nutzer:innen Gesundheitsdaten lesen und schreiben – mit granularen Einstellungsmöglichkeiten.

Rekapitulieren wir: Apps für die persönlichsten und verschiedensten Real-World Gesundheitsdaten, weit verbreitete Hardware, vollgepackt mit Sensoren, Drittanbieter Hard- und Software, eine zentrale App für Gesundheitsdaten und eine Brand, die Datenschutz (unabhängig übrigens davon, ob dies zutrifft) und Convenience in den Mittelpunkt stellt. Für Pharma und MedTech tun sich hier neue Welten auf – und gewaltige Herausforderungen: „Wie können wir Teil dieses Ökosystems sein, Mehrwert schaffen und selbst davon profitieren?“

Ich fange jetzt an zu sparen – in sechs Monaten steht eine größere Anschaffung an – und wir sehen uns an dieser Stelle in zwei Wochen wieder, wenn Sie mögen.

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