DiGA und Big Pharma – eine sinnvolle Kombination?

Mit der Einführung Digitaler Gesundheitsanwendungen (DiGA) im September 2020 hat Deutschland eine führende Position für digitale Therapieansätze eingenommen. Durch das Fast-Track-Verfahren und die neu-geschaffene Erstattungs-Kategorie eröffnet sich für Hersteller ein neuer Weg, erstattungsfähige Produkte für die Patientenbehandlung anzubieten. Doch sollte die Pharma-Industrie diese sogenannten „Apps auf Rezept“ in ihr Produktportfolio auch tatsächlich aufnehmen?

Was sind DiGAs?

DiGAs wurden durch das Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG) als neue Versorgungsform Teil des Leistungskatalogs aller gesetzlichen Krankenkassen eingeführt. Das beschleunigte Zulassungsverfahren „Fast-Track“ wird durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) beaufsichtigt. Es überprüft die CE-zertifizierten Medizinprodukte der Risikoklassen I oder IIa mit digitaler Hauptfunktion auf Sicherheit, Funktionstauglichkeit, Datenschutz und -sicherheit, medizinische Qualität und Interoperabilität sowie die erforderlichen wissenschaftlichen Nachweise zu einem positiven Versorgungseffekt. Wenn gelistet, kann eine DiGA dann von Ärzt:innen und Psychotherapeut:innen, Heilmittelerbringenden und Hebammen verordnet werden, um bei der Erkennung und Behandlung von Krankheiten oder z.B. der individuellen Umsetzung von Behandlungsprozessen zu unterstützen.

Wie viele DiGAs gibt es und ist Pharma schon dabei?

Mit Anfang März 2022 sind 31 DiGAs für verschiedenste Indikationen im BfArM-Verzeichnis gelistet. Mit dabei sind DiGAs für sehr spezielle Problemstellungen (z.B. für logopädisches Training oder Erektionsstörungen), aber eben auch für sehr breite gesundheitliche Problemfelder wie Adipositas, Diabetes oder Krebs. Mit diesen lassen sich große Patientenpopulationen erreichen, was für die Pharma-Industrie attraktiv sein sollte. Dennoch sind unter den eigentlichen DiGA-Herstellern bislang keine Pharma-Unternehmen zu finden, sondern viel mehr Start-ups und auf digitale Gesundheitsprodukte spezialisierte Unternehmen. Lediglich eine gelistete DiGA zeigt eine klare Verbindung zu einem Pharma-Unternehmen: „HelloBetter ratiopharm chronischer Schmerz“. Der Hersteller ist zwar auch hier ein auf online Gesundheitstrainings spezialisiertes Unternehmen. Aber mit ratiopharm steht ein etabliertes pharmazeutisches Unternehmen im Namen der DiGA und vermarktet sie über die eigenen Kanäle in die Ärzteschaft. Davon abgesehen ist eine Beteiligung der Pharma-Industrie an der Entwicklung der bisher gelisteten 31 DiGAs nicht zu erkennen. Sind DiGAs also nicht interessant für die Pharma-Branche?

Gibt es Partnerschaften zwischen DiGA-Herstellern und Pharma?

Auch die DiGA deprexis des Herstellers GAIA hat mit Servier einen Partner aus der Pharma-Branche. Diese Partnerschaft bestand aber bereits bevor deprexis zur DiGA wurde. Auch die Partnerschaft zwischen Sanofi und HiDoc Technologies bei der Vermarktung der Reizdarm-DiGA Cara Care startete, bevor Cara Care in das DiGA-Verzeichnis aufgenommen wurde. Sanofi hat indes selbst angekündigt, dass die eigene „myDose Coach“ App kurz vor der Aufnahme ins DiGA-Verzeichnis steht. Es existieren also durchaus bereits Partnerschaften zwischen DiGA-Herstellern und der Pharma-Industrie bzw. das Bestreben, selbst DiGAs zu entwickeln. Wird es bei diesen Einzel-Beispielen bleiben?

Warum sind DiGAs eine sinnvolle Ergänzung des Portfolios für Pharma-Firmen?

Die Pharma-Industrie hat nicht erst seit der Corona-Pandemie mit einem immer schwieriger werdenden Zugang zur Ärzteschaft zu kämpfen. Das klassische Pharma-Referenten-Model mit dem Ansatz, mehr Reichweite und mehr Frequenz führen zu mehr Umsatz ist an seine Grenzen gestoßen bzw. die Akzeptanz und die Zeit für mehrere Pharma-Referenten-Besuche pro Tag sind bei den Verordner:innen nicht mehr vorhanden. DiGAs können ein Instrument sein, um qualitativ hochwertige Kontakte in dieser Kundengruppe zu generieren. So haben DiGAs beispielsweise das Potential, die Arzt-Patienten-Kommunikation zu verbessern, um die Effizienz der Therapie zu erhöhen und das Arbeitsaufkommen der Behandler:innen zu reduzieren. DiGAs wie CANKADO oder Mika zielen in der Krebstherapie genau darauf ab. Bietet ein Pharma-Unternehmen dies neben seinen klassischen Medikamenten an, wird ein Mehrwert für die Ärzt:innen geschaffen, der sich positiv auf die Markenpräsenz und -präferenz auswirken kann. Zusätzlich verändert sich die Art der Zusammenarbeit von Pharma-Referent und Behandler:in. Neben der wissenschaftlich fundierten Unterstützung der Therapie durch Medikamente kann die Therapie nun ganzheitlicher unterstützt werden, nämlich Prozessabläufe verbessert, Kommunikation zwischen Behandler:in und Patient:in strukturierter und transparenter und die Dokumentation des Therapieverlaufs vereinfacht. Realisieren sich diese Effekte färbt dies auch positiv auf die Beziehung zum Pharma-Unternehmen ab.

Zeitgleich bieten DiGAs der Pharma-Industrie auch die Möglichkeit, intensiver in den Kontakt mit Patient:innen zu treten – ein Thema, das mehr und mehr in den Fokus rückt. Viele Unternehmen haben Abteilungen gegründet, die sich „Patient Affairs“ oder „Patient Relations“ nennen und das Ziel haben, Patient:innen in der Therapie und Nutzung der Medikament zu unterstützen. Dies basiert auf der Erkenntnis, dass die Mitwirkung der Patient:innen an der Therapie maßgeblich zum Erfolg beiträgt. Und genau darauf zielen wiederum DiGAs mit ihrer digitalen Kernfunktion und Patienten-Zentrierung ab. Bleiben wir beim Beispiel von CANKADO und Mika in der Krebstherapie. Patient:innen erhalten hier individualisierte Informationen zur jeweiligen Therapiephase, persönliche Empfehlungen dazu, wie mit der psychischen Belastung während der Therapie umgegangen werden kann, welche Symptome in den verschiedenen Therapiestadien normal sind oder wann doch besser der direkte Kontakt zum/r Behandler:in aufgenommen werden sollte. Ein anderes Beispiel ist die DiGA zanadio, die bei Adipositas verschrieben werden kann. Die Patient:innen werden dabei unterstützt, ihre Gewohnheiten in den Bereichen Bewegung, Ernährung und Verhalten nachhaltig zu verändern. Im Gegensatz zum/r Behandler:in kann die DiGA 24/7 bei den Patietent:innen durch Information, Beratung, Dokumentation und Motivation unterstützen. Alles zielt auf eine verbesserte Mitwirkung der Patient:innen in der Therapie hin, was wiederum den Therapieerfolg erhöht.

Eine DiGA kann also sowohl in der Ärzteschaft als auch bei den Patient:innen einen Mehrwert schaffen und gleichzeitig das Verhältnis des Pharma-Unternehmens zu diesen beiden Zielgruppen nachhaltig stärken.

Gibt es noch weitere positive Aspekte der DiGAs für Pharma?

Aus meiner Sicht existieren neben dem Aspekt des Mehrwertes für Ärzteschaft und Patient:innen sowie dem damit einhergehenden intensiveren Kontakt mit diesen beiden Zielgruppen noch weitere positive Aspekte, weshalb es für die Pharmazeutische Industrie ratsam ist, in DiGA zu investieren.

Die Nutzung der DiGAs durch Patient:innen generiert Daten, die im Rahmen von Real-World-Evidence-Untersuchungen tiefe Einblicke in das alltägliche Verhalten während verschiedener Therapiephasen oder die Nutzung der damit verbundenen Medikamente bieten. So können Medikationen oder Darreichungsformen optimiert werden, Patienten-Programme können noch idealer an die Alltagsrealität angepasst werden und die Ärzteschaft kann besser auf häufig vorkommende Herausforderungen währen der Therapie vorbereitet werden.

Daneben haben DiGAs durch ihre 24/7-Präsenz das Potential, die Therapie-Adhärenz der Patient:innen zu erhöhen. Damit wäre ein häufiges Problem gerade bei chronischen Erkrankungen und Verhaltensveränderungen benötigenden Therapien gelöst.

Und nicht zuletzt können DiGAs durch ihre Erstattbarkeit auch ein eigenes Profit-Center werden, zumal der Zulassungsprozess im Vergleich zu dem traditioneller Arzneimittel schneller und kostengünstiger ist.

Es gibt also viele gute Gründe, warum die App auf Rezept und Big Pharma eine sinnvolle Kombination sind.

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